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Theatertreffen 2006 - Auswahl

14 February 2006

Theatertreffen 05. – 21. Mai 2006 Die Jury des Theatertreffens hat getagt und ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Die bemerkenswerten Inszenierungen des Theatertreffens 2006 kommen aus Berlin bzw. Berlin/Basel, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Halle an der Saale, Hannover, Mannheim, München, Stuttgart und Wien von den Regisseurinnen und Regisseuren Paul Binnerts, William Forsythe, Jürgen Gosch, Dimiter Gotscheff, Helgard Haug und Daniel Wetzel (Rimini Protokoll), Karin Henkel, Christoph Marthaler, Sebastian Nübling, Thomas Ostermeier und Andres Veiel. Christoph Marthalers Inszenierung „Schutz vor der Zukunft“ ist von der Jury nominiert, kann aber aus terminlichen Gründen erst im Rahmen der spielzeiteuropa 06|07 im Oktober in Berlin gezeigt werden. Die Mitglieder der Jury des Theatertreffens sind: Barbara Burckhardt, Karin Cerny, Christine Dössel, Hartmut Krug, Peter Michalzik, Tobi Müller, Andreas Wilink Eröffnet wird das Theatertreffen am Freitag, den 5. Mai 2006 im Haus der Berliner Festspiele. Seit 1996 gibt es die Zusammenarbeit zwischen dem Theatertreffen, 3sat und dem ZDFtheaterkanal. Zum zehnten Mal wird der 3sat-Preis zum Theatertreffen in diesem Jahr an Künstler, die an einer Inszenierung des Theatertreffens mitwirken, verliehen. Der schriftliche Vorverkauf beginnt Ende März. Interessenten können bereits jetzt ihre Adresse im Kartenbüro der Berliner Festspiele hinterlassen, der Bestellcoupon wird zugeschickt: Tel.: 030-254 89 100, Fax: 030-254 89 230 E-Mail: kartenbuero@berlinerfestspiele.de Im Haus der Berliner Festspiele heißen wir Gäste aus dem In- und Ausland zu den Gastspielen, zu Diskussionen, zu den Publikumsgesprächen und in die spiegelBAR willkommen! Das Theatertreffen wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Auswahl: Maxim Gorki Theater Berlin / Theater Basel Der Kick von Andres Veiel und Gesine Schmidt Uraufführung Regie Andres Veiel Premiere Basel 23. April 2005 Premiere Berlin 24. April 2005 Die Wiederauferstehung des dokumentarischen Theaters. Aber anders als in den sechziger Jahren: keine geschichtsmächtigen Figuren, nicht die große Historie. Sondern eine Recherche im Abseits der Gesellschaft. Die reine Gegenwart: Ein halbes Jahr lang haben Andres Veiel und Gesine Schmidt Fragen gestellt und zugehört im brandenburgischen Potzlow, wo 2003 drei Jugendliche einen vierten ermordeten. Die Montage aus Originalzitaten von Eltern, Freunden, Lehrern spricht in einer konzentriert kargen Inszenierung mit nur zwei Schauspielern von Opfern und Tätern, bis die Kategorien von Tätern und Opfern fragwürdig werden: Es geht nicht um Verständnis, aber um den Versuch, das Unfassbare zu verstehen. schaubühne am lehniner platz, Berlin Hedda Gabler von Henrik Ibsen Regie Thomas Ostermeier Premiere 26. Oktober 2005 Wenn sich Hedda Gabler in dieser Inszenierung am Ende erschießt, dreht sich nicht nur die Bühne mit ihrer kalten Designerwohnung weiter, als ob nichts geschehen wäre. Ihre Tat wird nicht einmal von ihrem Mann registriert. Hedda ist überflüssig geworden in dieser wohlstandsverwahrlosten Welt, in der sie sich nur noch durch ihre destruktive, kriminelle Energie lebendig fühlte. Ein neuer Typus Hedda: keine Hysterikerin, keine elegische Heroine, sondern bei Katharina Schüttler ein kaltschnäuziges, um keinerlei Sympathie werbendes neokonservatives „It-Girl“. Ostermeier verlegt das Stück schlüssig in die Seitenstraßen des Kudamms. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin Iwanow von Anton Tschechow Regie Dimiter Gotscheff Premiere 19. März 2005 Alles ist hier leer: der Raum, die Herzen und die Hirne. Auf der nackten Bühne nur Nebel, aus dem die Figuren sich an die Rampe wagen und in den sie sich zurück flüchten. Die Inszenierung zeigt Tschechows „Iwanow“ als groteske Komödie einer Gesellschaft in Stagnation. Das ist nicht neu. Doch wie Dimiter Gotscheff aus lauter eruptiven oder resignierten, aus zynischen oder melancholischen Rampensoli ein nacktes Seelenstück baut, in dem das Entfremdungspsychogramm des modernen Menschen erbarmungslos deutlich wird, das ist grandios. Die Schauspieler, an ihrer Spitze Samuel Finzi als ein verkrampft verzweifelter Iwanow, der sich im existentiellen Elend vergeblich einzurichten sucht, zeigen die kraftlosen Daseinszweifel ihrer Figuren mit schmerzhafter Kraft. Düsseldorfer Schauspielhaus Macbeth von William Shakespeare Regie Jürgen Gosch Premiere 29. September 2005 Dieser „Macbeth“ ist radikal, rotzig, trotzig, tollkühn, anstößig. Sofort sind Blut, Nacktheit, Roheit im Spiel, aber eben im Spiel – aus dem Stand heraus. Die Blöße legt sich als Schutzfilm über die wie neugeborenen Schauspieler. Das Stück erscheint gehäutet. Der Bühnenkasten (Johannes Schütz) für die Nackten und die Toten müllt sich nach dem ersten Hexensabbat zu. Das rüde Handwerk beginnt: totale Anarchie, totale Freiheit. Ein lustvoller Trip zwischen Schoß und Grab. Es wird gepisst, gekackt, gefurzt – aber im Gegensatz zum Illusionstheater zeigen Michael Abendroth, Thomas Dannemann, Jan-Peter Kampwirth, Horst Mendroch, Ernst Stötzner, Devid Striesow und Thomas Wittmann die Instrumente. Verschwörung gegen den Apparat Stadttheater – das klingt wie ein Stichwort für „Macbeth“, den Usurpator, dem das Reich in die Hände gehext wird. Spiel-, Sexual- und Gewalttrieb bestimmen die Antriebskräfte von Jürgen Goschs Aufführung. The Forsythe Company, Frankfurt am Main / Dresden Three Atmospheric Studies A work from The Forsythe Company Uraufführung Regie / Choreografie William Forsythe Premiere Teil I + II (Clouds after Cranach) 26. November 2005 im Bockenheimer Depot, Frankfurt am Main Premiere Teil III (Study III) 21. April 2005 im Bockenheimer Depot, Frankfurt am Main Premiere Teil I + II + III 2. Februar 2006 spielzeiteuropa 05|06, Haus der Berliner Festspiele, Berlin In „Three Atmospheric Studies“ kulminiert die choreographische Arbeit von William Forsythe und es zeichnet sich eine Wandlung, insbesondere eine Politisierung ab. Anfangs durch meterologische Phänomene inspiriert, ist das Stück jetzt eine Arbeit über den Nahostkonflikt. Im dritten Teil verdichten sich atmosphärische Spannungen, tänzerische Auseinandersetzungen, die Traumatisierung einer Mutter als auch die perfekte Imitation eines Südstaatenamerikaners durch eine Tänzerin in einer ebenso abstrakten wie konkreten Choreographie. „Three Atmospheric Studies“ ist die intensivste und formal anspruchsvollste Auseinandersetzung des zeitgenössischen deutschen Tanztheaters mit der politischen Gegenwart. Kulturinsel Halle / neues theater Allein das Meer von Paul Binnerts nach dem gleichnamigen Roman von Amos Oz Uraufführung Regie Paul Binnerts Premiere 24. November 2005 Das Leben, eine Sehnsucht nach Sinn und Liebe: sieben Menschen erzählen, und ihre individuellen Geschichten überschneiden, kreuzen und verweben sich so unspektakulär wie eindringlich. Im Zentrum steht ein junger Mann, der sich nach dem Tod seiner Mutter zur Selbstfindung in den Himalaya zurückzieht, während sich sein Vater und seine Freundin in Tel Aviv näher kommen. Der israelische Autor Amos Oz wählte für seinen Roman eine minimalistische Erzählweise, in dem sich Alltagslyrik und -prosa mit realistischen Passagen und Bewusstseinsströmen zu einer mäandernden Erzählung vereinen. Regisseur Paul Binnerts hat den Roman zu einem zarten und offenen epischen Theater-Spiel komprimiert, bei dem die Darsteller mit intensiver Zartheit und leisem Humor Handlungen und Haltungen zugleich erzählen wie spielen und ausstellen. schauspielhannover Drei Schwestern von Anton Tschechow Regie Jürgen Gosch Premiere 16. September 2005 Die russische Provinz des Regisseurs Jürgen Gosch und des Bühnenbildners Johannes Schütz ist eine geschlossene Gesellschaft. Die Welt verirrt sich nur unter größten Schmerzen in den langen grauen Raum ohne Fenster, ohne Vater, ohne Aussicht, ohne Sinn. Obwohl Tschechow die Nöte der vom Zentrum Weggesperrten klar formuliert, zeigen Gosch und seine Schauspieler, dass man sich gar nicht verstehen will. Nicht im Augenblick. Es ist vielmehr ein Rest an Ewigkeit, den man in Ideologien der Arbeit und der Liebe sucht. Die streng komponierte, immer polyphone Unordnung dieses Theaterabends führt dann zu einem deutlichen, dunklen Ende. Nationaltheater Mannheim In Koproduktion mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar für die 13. Internationalen Schillertage Wallenstein Eine dokumentarische Inszenierung von Helgard Haug und Daniel Wetzel / Rimini Protokoll Uraufführung Regie Helgard Haug und Daniel Wetzel Premiere 5. Juni 2005 im Probenzentrum Neckarau Die Deckung von Theater und Realität in „Wallenstein“ ist erstaunlich. Unter anderem steht der ehemalige Mannheimer CDU-OB-Kandidat, Dr. Sven-Joachim Otto, auf der Bühne. Er berichtet wahrheitsgetreu, wie er aus populistischen Versatzstücken zum Kandidaten aufgebaut und dann von seiner eigenen Partei nicht gewählt wurde. Der Bericht ist Wort für Wort wahr, trotzdem spielt Otto unübersehbar Theater. Die Schauspieler erschaffen und dekonstruieren sich im gleichen Moment. „Wallenstein“ ist die erste Arbeit von Rimini-Protokoll nach einem klassischen Text. Die Aufführung ist ein Triumph des Castings und des „Framings“, eine Collage frappierender Gegenwartsfragmente und ein intelligenter Kommentar zu Schillers „Wallenstein“. Münchner Kammerspiele Dunkel lockende Welt von Händl Klaus Uraufführung Regie Sebastian Nübling Premiere 1. Februar 2006 Die Neurosen liegen blank in dieser Inszenierung. Alles spielt an der glattpolierten Oberfläche, dort, wo man alles sieht, und doch nie sicher sein kann, ob man es auch nur ansatzweise versteht. Ein wahnwitziger Abend, als hätte David Lynch sich mit Alfred Hitchcock und Jacques Tati zusammengetan. Regisseur Sebastian Nübling hat Händl Klaus' rätselhafte Krimikomödie „Dunkel lockende Welt“ ebenso elegant wie absurd und leichtfüßig zur Geschichte eines familiären Trio Infernal zugespitzt. Es wird viel geplaudert, gescherzt, geputzt, Bossa Nova getanzt, aber darunter liegt ein Satz von Marcel Duchamp: „Es sind immer die anderen die sterben“. SCHAUSPIELSTUTTGART / staatstheaterstuttgart Platonow von Anton Tschechow Regie Karin Henkel Premiere 2. Oktober 2005 Karin Henkel gelingt mit Tschechows Frühwerk „Platonow“ die lebensnahe Stillstandsbeschreibung einer bankrotten, abgetakelten Gesellschaft, die sehnsuchtsvoll auf bessere Zeiten wartet. Mit großem Einfallsreichtum und einer unbändigen Liebe zum Detail schlägt die Regisseurin aus der in schnöder Alltäglichkeit zelebrierten Langeweile lauter kleine Witz- und Lebensfunken. Die Inszenierung überzeugt als runde Ensembleleistung. Im Zentrum aber steht er: Felix Goeser als versoffener, zynischer, sinnlich-süffiger Dorfschullehrer Platonow. Eine Entdeckung! Wiener Festwochen In Koproduktion mit Odéon-Théâtre de l’Europe Paris, Internationales Tschechow Theaterfestival Moskau, Goethe-Institut, NTGent und spielzeiteuropa 06|07 Berliner Festspiele Schutz vor der Zukunft Ein theatralisch-musikalisches Projekt von Christoph Marthaler Uraufführung Regie Christoph Marthaler Premiere 9. Mai 2005 Wiener Festwochen Der schönste, schmerzvollste und unbequemste Marthaler seit langem: eine Feier des Lebens, geboren aus dem Memento Mori. „Schutz vor der Zukunft“ ist den Kindern gewidmet, die dem Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer gefallen sind. Was als Bunter Abend mit Wunschkonzert und Vorträgen beginnt, mündet im zweiten Teil in ein Requiem, das zu den Präludien und Fugen von Schostakowitsch der Trauer den ganzen Raum einräumt. Den Kosten-Nutzen-Rechnungen unserer Gegenwart setzt Marthaler sein Theater der Humanität entgegen: ein Theater, in dem das Andersartige seinen Platz und seine Würde hat. Christoph Marthalers Inszenierung „Schutz vor der Zukunft“ ist von der Jury nominiert, kann aber aus terminlichen Gründen erst im Rahmen der spielzeiteuropa 06|07 am 21. + 22. sowie 24. - 27. Oktober 2006 in Berlin gezeigt werden.